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Literarische Gesellschaft e.V.

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Verleihung des „Göttinger Lorbeer-Bäumchens“
an das ehrenamtliche Team des Till-Eulenspiegel- Museums in Schöppenstedt

am 10. April 2010: -  Helmut W. Brinks für die Göttinger Literarische Gesellschaft:



Ich grüße Sie in dieser literarischen Runde im Namen der Göttinger Literarischen Gesellschaft. Ich grüße besonders die Menschen, denen wir es verdanken, dass das Eulenspiegel-Museum in Schöppenstedt gebaut und am Leben gehalten und mit Leben gefüllt worden ist: das war und ist eine Kulturtat, nicht zuletzt, weil viele öffentliche Einrichtungen in der allgemeinen Verschuldung in ihrer Existenz bedroht sind und weil wir es oft genug erfahren: Wenn unbedingt gespart werden muss, gehören Kulturprojekte zu den ersten Opfern. Hoffentlich trifft es in den nächsten Jahrzehnten nicht diese Zwischenlagerstätte für Humor und Witz.

Wir sind ja nicht die ersten, die das Eulenspiegel-Museum trefflich und
auszeichnungswert finden - und hoffentlich nicht die letzten. Wir konzentrieren uns mit unserem ohnmächtigen, weil geldlosen Literaturpreis, auf Frau Papendorfs Mitarbeiter, die den Erfolg des Eulenspiegel-Museums erst ermöglicht haben.
Und das finden wir ganz besonders rühmenswert: sie taten und tun es ehrenamtlich, umsonst; aber die Mühe war und ist nicht umsonst.

Wir nennen die zu Ehrenden beim Namen: Frau Barbara Klages, Frau Ute
Merkhoffer, Frau Alice Bauch, Frau Waltraud Ernst, Frau Andrea Ahlborn-Riechelmann und den Mann, der so viele kreative Einfälle in das Museum
eingebracht hat: Professor Alexander Schwarz.

Wir ehrenamtlich arbeitenden Literaten in der Literarischen Gesellschaft gehen davon aus, dass die Kultur und alles gesellschaftliche Tun künftig viel stärker auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sein wird. Wir finden, dass wir uns ein Mut machendes Beispiel an vielen anderen, auch erheblich ärmeren Ländern nehmen sollten, in denen ehrenamtliche Tätigkeit für das Gemeinwohl eine selbstverständliche Ehrenpflicht ist.

Wir nehmen heute in 18 Jahren zum 5. Mal einen Anlass, Menschen auszuzeichnen, die sich ohne große Anerkennung von anderen um Literatur
verdient gemacht haben.




Frau Papendorf und Herr Professor Schwarz können heute urlaubshalber nicht anwesend sein; wir haben sie vorher beglückwünscht. Aber die heute Fehlenden können diese Worte nachlesen und das drum und dran erzählt bekommen. Da liegt eine Chance:

Erzählen Sie ihnen die tollsten Geschichten davon, wer alles hier war, über was wir gelacht haben, welche Unmengen wir getrunken und was wir geschmaust haben, und wie lange wir ausgelassen hier getanzt haben, bevor sich die Polonäse dann in den dunkel gewordenen Winkeln verloren
hat.

Das, was es nicht gibt, kann uns keiner weg nehmen. Wer nie gelebt hat, hat trotzdem eine gute Chance, unsterblich zu werden, Adam und Eva zum
Beispiel, die allermeisten literarischen Figuren, und auch Till Eulenspiegel.

Trotz so vieler Ausgrabungen wissen wir immer noch nicht, ob es ihn leibhaftig gab. Ob er wirklich in einem Menschen gelebt hat oder in mehreren. Es hat uns Menschen immer gereizt, alle Ereignisse, besonders die schwer vorstellbaren, an einer Person festzumachen. Das hat immer geholfen bei allen Helden und Heldinnen, sogar bei Großereignissen, die wir uns leichter vorstellen können, wenn wir sie an einer Gestalt festmachen können. Das werden oft unsere wahren Helden.

Der Till war, wie ihn einige heute sehen, ein Verhaltensauffälliger, der besser nicht von einem Psychiater begutachtet werden dürfte. Er hat sich selbst unterhalten, seltener seine Zuschauer. Er hat gemacht, was ihm in den Sinn kam, was ihm Spaß machte und andere ärgerte. Er war vulgär, hat oft Mist gebaut. Das Schlimmste war: Er hat, wenn überhaupt, 500 Jahre zu früh gelebt.
  

Till Eulenspiegel hat heute ein besseres Image als zu seinen angenommenen Lebzeiten. Heute wäre er klug beraten, aus seinen Eingebungen einen Beruf zu machen. Er wäre Berufs-Entertainer, Comedian oder Kabarettist geworden, Büttenredner, Bestseller-Autor und hätte eine eigene Fernseh-Reihe. Eines hat er, wenn er überhaupt gelebt hat, lebenslang versäumt - schon, weil die Zeit noch nicht reif dafür war. Heute könnte Till mit seinen Späßen und Mutwilligkeiten schönes Geld verdienen. Aber könnte er damit gut oder besser leben?

Wer heute in der Unterhaltungsbranche Erfolg hat, kann davon leben, aber er ist trotzdem arm dran, weil seine Manager oder Geldgeber ihn unter den
unerhörten Druck setzen, dauernd unterwegs zu sein, möglichst jeden Tag und manchmal mehrmals an einem Tag sein Spaßprogramm mit immer
gleichem Spaßgesicht in sichtbar fröhlichster Laune darzubieten.

Lohnt so ein Erfolg? Sicher, wenn man Erfolg genießen kann, dann auch um jeden Preis. Das würden wir Till Eulenspiegel nicht wünschen. Eher, dass er sich mit seinem Witz und seiner Schadenfreude auf Leute konzentrieren würde, die uns alle rücksichtslos reingelegt und sich an uns bereichert
haben. Von diesen Menschen sind inzwischen ungleich zahlreichere sichtbar als zu seinen Zeiten. Wir lassen sie weithin gewähren, weil wir uns
machtlos fühlen oder nicht „zuständig“.

Hätte ein Narr heute mehr Möglichkeiten, mehr Narrenfreiheit? Was dürfte ein Schalk sich leisten, ein Schalksnarr, ein Hanswurst? Brauchten wir sie
unbedingt – nötiger und einflussreicher als andere, die vorgeben, uns zu vertreten?

Jean-Paul Sartre war es lieber, mit einem Hanswurst verwechselt zu werden als mit einem stellvertretendem Landrat („Unterpräfekt“). Na ja, er konnte sich das leisten, obwohl: Er hat einige Male Till Eulenspiegel nachgeahmt, etwa, als er voller Verachtung auf die Grabplatte des Politikers
Chateaubriand pinkelte. Till hätte das nachhaltiger gemacht und besonders vor Dingen, die richtig zum Himmel stinken, einen Haufen gesetzt und dazu
viele Leute aufgefordert, je einen Stinkhaufen davor zu machen.

Sicher wäre auch das ohnmächtig, aber vor allem, wenn es davon Fotos gäbe, wirkungsvoll. Bilder sagen uns nun einmal mehr als seitenlang Worte.

Was meinen Sie: Würde Till Eulenspiegel es tatenlos hinnehmen, dass in zehn Kilometer Luftlinie von hier eine der schlimmsten Giftgruben der Menschheit im Asse-Atommüll -Schacht leichtfertig angelegt worden ist und jetzt mit riesigem Geld- und Technologie-Aufwand entsorgt werden
müsste? Würde Till uns nicht mit einigen riskanten Aktionen anregen, wirkungsvoll gegen solche Ungeheuerlichkeiten anzustinken? Was halten
Sie von „Till zum Weiterdenken“, zum „Till für dieses zweite Jahrzehnt“? Würde er wieder nur auf kurzlebige und nur ihn selbst betreffende
Umwelteinflüsse reagieren? Liegt nicht eine wichtige Lern-Chance in der Frage „Was wäre, wenn?“

Wir widmen (übrigens ohne jeden Hintergedanken) das Lorbeerbäumchen den guten Geistern des Eulenspiegel-Museums, den jetzigen und den
kommenden, die es hoffentlich weiter am Leben halten. Der Lorbeer ist anpassungsfähig und robust, wenn er nicht vertrocknen muss. Am längsten
lebt er, wenn er gelegentlich bewässert oder wenn er eingepflanzt wird. Trocken gewordene oder absichtlich getrocknete Blätter taugen gut als
Suppenwürze oder im Sauerkraut. Man kann sie auch eintüten und verkaufen – ist das nicht auch ein weiterführender Gedanke für Notzeiten?

Ich danke für Ihre Geduld und bitte Sie, auf das Wohl der guten Eulenspiegel-Geister anzustoßen: Sie leben hoch, gesund und so fröhlich
und einfallsreich wie möglich!