Frau
Papendorf und Herr Professor Schwarz können heute
urlaubshalber nicht
anwesend sein; wir haben sie vorher beglückwünscht.
Aber die heute
Fehlenden können diese Worte nachlesen und das drum und dran
erzählt
bekommen. Da
liegt eine Chance:
Erzählen Sie ihnen die tollsten
Geschichten davon, wer alles hier war, über was wir gelacht
haben,
welche Unmengen wir getrunken und was wir geschmaust haben, und wie
lange wir ausgelassen hier getanzt haben, bevor sich die
Polonäse dann
in den dunkel gewordenen Winkeln verloren
hat.
Das,
was es nicht gibt, kann uns keiner weg nehmen. Wer nie gelebt hat, hat
trotzdem eine gute Chance, unsterblich zu werden, Adam und Eva zum
Beispiel,
die allermeisten literarischen Figuren, und auch Till Eulenspiegel.
Trotz
so vieler Ausgrabungen wissen wir immer noch nicht, ob es ihn
leibhaftig gab. Ob er wirklich in einem Menschen gelebt hat oder in
mehreren. Es hat uns Menschen immer gereizt, alle Ereignisse, besonders
die schwer vorstellbaren, an einer Person festzumachen. Das hat immer
geholfen bei allen Helden und Heldinnen, sogar bei
Großereignissen, die
wir uns leichter vorstellen können, wenn wir sie an einer
Gestalt
festmachen können. Das werden oft unsere wahren Helden.
Der
Till war, wie ihn einige heute sehen, ein
Verhaltensauffälliger, der
besser nicht von einem Psychiater begutachtet werden dürfte.
Er hat
sich selbst unterhalten, seltener seine Zuschauer. Er hat gemacht, was
ihm in den Sinn kam, was ihm Spaß machte und andere
ärgerte. Er war
vulgär, hat oft Mist gebaut. Das Schlimmste war: Er hat, wenn
überhaupt, 500 Jahre zu früh gelebt.
Till Eulenspiegel
hat heute ein besseres Image als zu seinen angenommenen Lebzeiten.
Heute wäre er klug beraten, aus seinen Eingebungen einen Beruf
zu
machen. Er wäre Berufs-Entertainer, Comedian oder Kabarettist
geworden,
Büttenredner, Bestseller-Autor und hätte eine eigene
Fernseh-Reihe.
Eines hat er, wenn er überhaupt gelebt hat, lebenslang
versäumt -
schon, weil die Zeit noch nicht reif dafür war. Heute
könnte Till mit
seinen Späßen und Mutwilligkeiten schönes
Geld verdienen. Aber könnte
er damit gut oder besser leben?
Wer heute in der
Unterhaltungsbranche Erfolg hat, kann davon leben, aber er ist trotzdem
arm dran, weil seine Manager oder Geldgeber ihn unter den
unerhörten
Druck setzen, dauernd unterwegs zu sein, möglichst jeden Tag
und
manchmal mehrmals an einem Tag sein Spaßprogramm mit immer
gleichem
Spaßgesicht in sichtbar fröhlichster Laune
darzubieten.
Lohnt
so ein Erfolg? Sicher, wenn man Erfolg genießen kann, dann
auch um
jeden Preis. Das würden wir Till Eulenspiegel nicht
wünschen. Eher,
dass er sich mit seinem Witz und seiner Schadenfreude auf Leute
konzentrieren würde, die uns alle rücksichtslos
reingelegt und sich an
uns bereichert
haben. Von diesen Menschen sind inzwischen
ungleich zahlreichere sichtbar als zu seinen Zeiten. Wir lassen sie
weithin gewähren, weil wir uns
machtlos fühlen oder nicht
„zuständig“.
Hätte ein Narr heute mehr
Möglichkeiten, mehr Narrenfreiheit? Was dürfte ein
Schalk sich leisten,
ein Schalksnarr, ein Hanswurst? Brauchten wir sie
unbedingt –
nötiger und einflussreicher als andere, die vorgeben, uns zu
vertreten?
Jean-Paul
Sartre war es lieber, mit einem Hanswurst verwechselt zu werden als mit
einem stellvertretendem Landrat
(„Unterpräfekt“). Na ja, er konnte sich
das leisten, obwohl: Er hat einige Male Till Eulenspiegel nachgeahmt,
etwa, als er voller Verachtung auf die Grabplatte des Politikers
Chateaubriand
pinkelte. Till hätte das nachhaltiger gemacht und besonders
vor Dingen,
die richtig zum Himmel stinken, einen Haufen gesetzt und dazu
viele
Leute aufgefordert, je einen Stinkhaufen davor zu machen.
Sicher
wäre auch das ohnmächtig, aber vor allem, wenn es
davon Fotos gäbe,
wirkungsvoll. Bilder sagen uns nun einmal mehr als seitenlang Worte.
Was
meinen Sie: Würde Till Eulenspiegel es tatenlos hinnehmen,
dass in zehn
Kilometer Luftlinie von hier eine der schlimmsten Giftgruben der
Menschheit im Asse-Atommüll -Schacht leichtfertig angelegt
worden ist
und jetzt mit riesigem Geld- und Technologie-Aufwand entsorgt werden
müsste?
Würde Till uns nicht mit einigen riskanten Aktionen anregen,
wirkungsvoll gegen solche Ungeheuerlichkeiten anzustinken? Was halten
Sie
von „Till zum Weiterdenken“, zum „Till
für dieses zweite Jahrzehnt“?
Würde er wieder nur auf kurzlebige und nur ihn selbst
betreffende
Umwelteinflüsse
reagieren? Liegt nicht eine wichtige Lern-Chance in der Frage
„Was
wäre, wenn?“
Wir widmen (übrigens ohne jeden
Hintergedanken) das Lorbeerbäumchen den guten Geistern des
Eulenspiegel-Museums, den jetzigen und den
kommenden, die es
hoffentlich weiter am Leben halten. Der Lorbeer ist
anpassungsfähig und
robust, wenn er nicht vertrocknen muss. Am längsten
lebt er,
wenn er gelegentlich bewässert oder wenn er eingepflanzt wird.
Trocken
gewordene oder absichtlich getrocknete Blätter taugen gut als
Suppenwürze
oder im Sauerkraut. Man kann sie auch eintüten und verkaufen
– ist das
nicht auch ein weiterführender Gedanke für Notzeiten?
Ich
danke für Ihre Geduld und bitte Sie, auf das Wohl der guten
Eulenspiegel-Geister anzustoßen: Sie leben hoch, gesund und
so fröhlich
und
einfallsreich wie möglich!
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