
Göttinger |


|

Literarische
Gesellschaft e.V.
|


|
Aufmunterung durch Lichtenberg
Einige
Göttinger Geistesblitze und ein kleines Lebensbild von einem
der
wenigen echten "Jahrhundertgenies", dem Universalgelehrten
GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG (1742-1799):
Die
Menschen, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten. |
Wir
irren alle, aber jeder auf einem anderen Gebiet. |
Wer
nur Chemie versteht, versteht auch diese nicht. |
Es
gibt Leute, die glauben, alles
wäre vernünftig, was man
mit einem ernsthaften Gesicht tut. |
Ordnung
führt zu allen Tugenden. Aber was führt zu Ordnung? |
Was
auf Shakespearisch in der Welt zu tun war, hat Shakespeare
größtenteils getan. |
In
der Vernunft ist der Mensch, in den Leidenschaften Gott. |
Es
ist fast unmöglich, die Fackel
der Wahrheit durch ein
Gedränge zu tragen, ohne jemanden den Bart zu sengen. |
Wir
fressen einander nicht, wir schlachten uns bloß. |
Keine
Erfindung ist dem Menschen leichter geworden als die des Himmels. |
Ein
Dachziegel mag (sich) manches wissen, was der Schornsteinfeger
nicht weiß. |
Ich glaube, dass es weit besser
ist, aus
sich selbst herauszuholen als
aus dem Plato - den könnten wir falsch verstehen. |
Die
Fliege, die nicht geklappt sein will, setzt sich am sichersten auf
die Klappe selbst. |
Ich
fürchte, unsere allzu sorgfältige Erziehung liefert
uns
nur Zwergobst. |
Vom
Wahrsagen lässt sich’s wohl leben in der Welt, aber
nicht vom
Wahrheitsagen. |
Das Wort Schwierigkeit muss gar
nicht
für einen Menschen von Geist
als existent gedacht werden - weg damit. |
Ein
Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel fehlt. |
Dass
in der Kirche gepredigt wird, macht deshalb den Blitzableiter auf
ihr nicht unnötig. |
Da
liegen nun die Kartoffeln, und schlafen ihrer Auferstehung entgegen. |
|
|
|
Kleines Lebensbild: Georg
Christoph
Lichtenberg 1.7.1742 Oberramstadt - 4.2.1799 Göttingen
Am
1. Juli 2004 vor 262 Jahren kam er in Oberramstadt bei Darmstadt auf
diese Welt: Georg Christoph Lichtenberg, der sich später als
Lichtgestalt der Wissenschaft erwies; das hatte ihm kaum einer seiner
Zeitgenossen auf den ersten Blick zugetraut.
141 cm war er ausgewachsen groß, aber er zählte doch
zu den
ganz Großen - als einer unserer bedeutendsten Physiker und
als
einer unserer originellsten Schriftsteller und Satiriker.
Lichtenberg war der nach einem Unfall in frühen Kindheit mit
einer
starken Verkrümmung der oberen Wirbelsäule belastete
Sohn
eines später zu hohen Amtswürden aufgestiegenen
hessischen
Pastors. Er musste sich wegen seines äußeren
Handicaps
ähnlich wie ein intelligenter junger Jude verhalten: Den
Ehrgeiz
entwickeln, mit den Möglichkeiten seines Gehirns und seiner
Willenskraft zu erreichen und zu beweisen, dass er immer zu den Besten
gehörte.
Ein großzügiges Stipendium des offenbar weitsichtig
beratenen Landesherrn hatte ihm ermöglicht, mit 21 Jahren zu
studieren. Sein Landesherr und dessen Beamte hatten vergeblich
versucht, Lichtenberg in hessischen Universitätsbereichen zu
halten, aber Göttingen hatte 1763 den besten Ruf für
seine
Lieblingsgebiete Mathematik und Physik.
Lichtenberg vertiefte sich mit unerhörtem Eifer in diese alten
Künste und war bald in ihnen so überzeugend
kompetent, dass
er 6 Jahre später, mit 27 Jahren, in Göttingen
Professor
für Mathematik und Experimentalphysik wurde. Der schwache und
kränkliche Mann blieb dies drei Jahrzehnte lang.
Er schrieb eines der verbreitesten und geistreichsten
Lehrbücher
der Experimentalphysik, damals unüblich in der deutschen
Sprache.
Seine Vorlesungen erschöpften sich nie nur in Theorie, Es
funkte,
zuckte und flackerte sehr oft - und begeisterte auch fachfremde
Studenten.
Er hat einige Apparate und besonders die nach
ihm benannten
elektrischen Figuren erfunden und öffentlich experimentiert -
was
den
Brände fürchtenden Göttingern nicht geheuer
war. Zwei
Reisen nach
England machten ihn mit bedeutenden Wissenschaftlern und
Künstlern
und
mit englischen Verhältnissen bekannt; er berichtete
scharfsinnig.
Sein Ruf als Schriftsteller beruht auf seinen damals vielgelesenen
naturwissenschaftlichen und philosophischen Aufsätzen,
besonders
aber
auf seinen ironisch-geistvollen Aphorismen, in denen er sich als
psychologisch scharfsinniger Beobachter und darüber hinaus als
Repräsentant der Aufklärung erweist. Diese heute noch
viel
zitierten
Aphorismen erschienen verstreut; erst über 100 Jahre nach
seinem
Tod
wurden sie gesammelt veröffentlicht.
Der Schriftsteller hat mehrere Jahre lang einen
„Göttingischen
Taschenkalender“ herausgegeben und in ihm auch viele eigene,
satirische
Beiträge publiziert, in denen er auch den
übersteigerten
Geniekult der
„Sturm- und Drang“-Zeit und die religiöse
Intoleranz angegriffen
hat.
Er erwies sich auch als Kunstkenner und Kunstkritiker. Berühmt
machte
ihn vollends seine „Ausführliche Erklärung
der Hogarthischen
Kupferstiche“.
|
|
Es
ist vermutbar, dass ein so kleiner Mensch, auf den nahezu alle
Erwachsenen herabblicken mussten, erreichen will, dass die anderen
wenigstens gedanklich zu ihm aufblicken. Bei Männern war das
immer
noch leichter zu erreichen als bei Frauen. Für die blieb er
zeitlebens ein Mannsbild zum Gruseln. Dass dieses Prickeln sich
letztlich als erotisch nicht vollkommen unergiebig erwies, lernte
Lichtenberg bei den Frauen erst spät und auf riskanten Umwegen:
Da gab es neben einigen auswärtigen Abenteuern die
berühmte
„Stechardin“, die er auf dem Göttinger
Wall als
Blumenverkäuferin kennengelernt hatte. Lichtenberg war 40, als
er
das 12-jährige Kind in seine Wohnung holte und dort zwei Jahre
lang vor den Blicken der Göttinger verborgen hielt - oder
halten
wollte. Er hat diese Tochter eines armen Webers von Tag zu Tag mehr
geliebt und beschrieb sie als ein Muster an Schönheit und
Anmut -
was das Mädchen zu leiden hatte, erfuhr niemand und wagte
niemand
zu erkunden.
Mit vierzehn Jahren starb das Mädchen plötzlich; ihr
Tod hat
Lichtenberg tief erschüttert. Nach einiger Zeit der Trauer kam
er
jedoch nicht umhin, wieder - so schrieb er – „jenem
Triebe zu folgen,
ohne den die Welt nicht bestehen könnte“.
Diesmal nahm er eine 23-jährige Obstverkäuferin als
„Haushälterin“ zu sich. Doch
Göttinger Klatsch war bis nach
Hannover gedrungen: die Landesregierung machte ihm Vorhaltungen. Der
gewitzte Professor entgegnete pfiffig und schwer widerlegbar, er sei
doch viel zu hässlich, um von einer Frau geliebt werden zu
können.
In Wahrheit hatte hatte er mit seinem
„Hausmädchen“ immer wieder,
wie er es vielleicht in Erinnerung an sein überfrommes
Elternhaus
nannte, „viel Satan getrieben“. Acht Kinder zeugte
er mit ihr - der
geschickte Erfinder fand oder wollte wohl kein Mittel zur Verhinderung
einer Schwangerschaft.
Als der lebenslang Schwächliche und oft kranke und
hypochondrische
Lichtenberg sich einmal dem Tod besonders nahe fühlte, hat er
die
Frau um ihrer und der Kinder Versorgung willen geheiratet. Er wurde nie
wieder ganz gesund und schrieb beispielsweise über sich
selbst:
„Er hatte mehrere Krankheiten, allein seine
Hauptstärke
besaß er im asthmatischen Fache“.
Daneben plagten ihn Nieren- und Blasenleiden und Darmbeschwerden sehr,
aber das beeinflusste jenen lebenerhaltenden Trieb wenig, von dem
Thomas von Aquin feststellte, dass es die Hölle auf Erden sei,
wenn einem gleichzeitig Möglichkeiten gegeben und versagt
werden.
Aber Lichtenberg ging das Problem direkt an und nahm keine
Rücksicht auf die Kommentare seiner Umgebung. „Wenn
man alt wird,
muss man sich wieder junge Katzen und junge Ziegen anschaffen, um das
bisschen Konsonanz, das sich noch in den weichsten Fibern findet,
wieder zu erwecken.“
Der 51-Jährige begann neben seiner Ehe ein Verhältnis
mit
einer Hausangestellten seines Hauswirts. Und mit ihr, die er in seinen
Tagebüchern „Doly“ , aber auch
„Satan“ und „Devil“ nennt, hat
er
bis wenige Tage vor seinem Tod im Alter von 56 Jahren seinen
„teuflischen Spaß“ gehabt - wenn auch
unter der ständigen
Furcht, dass seine Ehefrau, die in jener Zeit noch zwei Kinder gebar,
die treulose Beziehung entdecken würde.
|
|
MOON
DAILY
SMART-1 Tracks Crater Lichtenberg And Young Lunar Basalts by Staff
Writers
Washington DC (SPX) Feb 06, 2006
This image, taken by the Advanced Moon Imaging Experiment on board
ESA's SMART-1 spacecraft, illustrates a special pointing mode, the
so-called target-tracking mode.
The image shows crater Lichtenberg in the Oceanus Procellarum region on
the Moon, centered on an area located at 66.8 degrees west and 32.6
degrees north.
The AMIE camera obtained the image from a distance of between 2,064 and
2,162 kilometers (1,320 and 1,384 miles) with a ground resolution of
between approximately 186 and 195 meters (600 and 630 feet) per pixel.
|

Crater
Lichtenberg is named after the German physicist Georg Christoph
Lichtenberg (1742-1799), who was a professor at the University of
Goettingen, Germany.
Image by ESA
|
56 Jahre, drei Jahrzehnte
prall gefüllter Arbeitsjahre - er hat sie genutzt und die
wahre
Größe dieses Genies haben wenige gespürt
oder geahnt;
erst die Nachgeborenen konnten nachlesen, was er uns alles hinterlassen
hat.
Auf diesen vielseitigen,
selbstkritischen und
nie mit seinen Erfolgen
zufriedenen Professor traf nicht ein bisschen zu, was er vielen
über seine Lebenszeit hinaus zurief und dabei nicht nur kommen
sah, dass wir Heutigen mehrere Berufe, Künste und Fertigkeiten
erlernen müssen, um uns zu behaupten; für ihn war
dies
hauptsächlich eine Lebensphilosophie, vielleicht sogar seine
Überlebensstrategie: „Wer nur Chemie versteht,
versteht auch diese
nicht.“
Wenn wir das
für uns
übernehmen wollen, müssen wir nur
statt „Chemie“ das Gebiet einsetzen, in dem wir uns
besonders sicher
fühlen.
Auf seiner 2. Harzreise kam Goethe nach Göttingen und besuchte
interessiert eine experimentelle Vorlesung Lichtenbergs und tauschte
sich noch brieflich mit ihm über seine Vorarbeiten und
Erkenntnisse zu seiner Farbenlehre aus.
Lichtenberg pflegte einige beidseitig ergiebige Freundschaften mit
Kollegen; er förderte und inspirierte den jüngeren
Gottfried
August Bürger, überlebte ihn sogar. Einiges spricht
dafür, dass er Bürger in Göttinger
Weinstuben ermutigt
hat, die von diesem ins Deutsche gebrachten „Wunderbare
Reisen zu
Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des
Freyherrn
von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel
seiner
Freund selbst zu erzählen pflegt, um einige erfundene
Geschichten
zu bereichern.
Die Göttinger haben das Haus, in dem er nur eine Wohnung
hatte,
nach Lichtenberg benannt; heute ist es ein Künstlerhaus. Sein
Gartenhaus wurde längst abgerissen, aber auf dem zum
verwilderten
Park umgewidmeten Bartholomäus-Friedhof gegenüber dem
heutigen Campus und unmittelbar neben dem örtlichen
Eros-Zentrum
wurden über 50 Jahre nach seinem Tod zwei weiße
Marmorkreuze
für ihn und seine Frau errichtet.
Das Grab wird von Schülern der nach ihm benannten Gesamtschule
einigermaßen in Ordnung gehalten. Ganz selten legt ein
Besucher
mal eine Blume auf sein Grab. Öfter wird sein schönes
Bronzedenkmal in seiner vollen Lebensgröße vor dem
Alten
Rathaus im Vorbeigehen gestreichelt - das sieht man an den blanken
Stellen. Und einige Frauen mit frischem Doktortitel küssen
nach
der Feier statt die (von männlichen doctores bevorzugte)
benachbarte Gänseliesel den kleinen großen
Lichtenberg.
Solche Gesten hätte er, jedenfalls von Frauen, zu Lebzeiten
sicher
lieber erlebt.
(© Helmut W. Brinks)
|
|