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Heinrich Heine III:
Zusammenstellung von Heine-Texten + Kommentare: © Helmut W. Brinks


Sein Religionswechsel war lange vorbereitet gewesen. Auf die Juden wurde vom führenden preußischen Staat und von der evangelischen Staatskirche erheblicher Druck ausgeübt, sich endlich zur einzig wahren Religion zu bekennen und sich auch deutsche Namen zuzulegen. Juden hatten kaum Aussicht auf Positionen, wie Heine sie erstrebte - als Jurist oder noch viel lieber als Literaturwissen- schaftler an einer Universität.

Im Frühjahr 1825 war Heine mehrfach unauffällig zum Pastor Grimm nach Heiligenstadt geritten und erhielt bei ihm den für übertrittswillige Juden vorgeschriebenen gründlichen Religionsunterricht. Heine, der absichtlich ins benachbarte Heiligenstadt ausgewichen war, ahnte nicht, wie ungewöhnlich viele Leumundszeugnisse aus seiner gesamten Lebenszeit von der Düsseldorfer Schulzeit bis zu Göttinger Zimmervermietern und vom Pastor der Göttinger Jacobigemeinde angefordert wurden; alle waren aber sehr positiv.

Kurz vor der Promotion zum Dr. jur. wurde Heine am 28. Juni 1825 mitten im katholischen Eichsfeld evangelisch getauft - aus Überzeugung (wie sein Täufer überzeugend seinen Oberen bekundete) und aus Einsicht in eine gegebene Notwendigkeit. Und erst von jetzt an nennt er sich übrigens Heinrich Heine.

Aber sehr bald hatte er den Eindruck, daß ihn die Christen wie die Juden verachteten. Er war innerlich zerrissen, fühlte sich „nicht Fisch, nicht Fleisch“ und nahm sich noch in Göttingen vor, am Beispiel des Rabbiners von Bacherach und seiner schönen Frau eine groß angelegte Geschichte der Juden in Deutschland zu schreiben - seine Art der Bewältigung des selbst so empfundenen Verrats an der jüdischen Kultur?

Er versuchte, mit der Frage fertig zu werden, ob ein erwachsener Jude, wenn auch in einem liberalem Elternhaus erzogen, ohne inneren Schaden alles Überkommene ablegen und in eine andere Religion überwechseln kann.

Der bissige Spötter Heine war nämlich, was auch z. B. der theologische Heineforscher Ferdinand Schlingensiepen in mehreren Publikationen bekräftigt, zeitlebens ein religiöser Mensch, ungewöhnlich bibelfest nach häufiger Lektüre - kein anderer ähnlich bekannter Dichter hat sie so oft zitiert - und die Bibel und ein Gebetbuch lagen bis zu letzt in Reichweite neben seinem Krankenlager, und nicht etwa als Dekoration.
 
Der Student Heine verehrte die Literaturwissenschaftler und die Philosophen an dieser Universität, er verfluchte und verhöhnte aber die Juristen. Und er täuschte sich besonders beschämend in seinem Doktorvater Hugo.

Heine wußte, daß Prof. Hugo guten Kontakt zu Goethe hielt. Heine schaffte im Doktor-Examen nur die Note „rite“ - ausreichend, und er hätte sie sehr wahrscheinlich nicht ohne die Fürsprache der Literaturfreunde unter den Göttinger Professoren geschafft - allerdings auch nicht ohne seinen
Mut, seine poetischen Arbeiten auch in diesen Kreisen zu verbreiten.

Heine verstand sein zurechtgezimmertes Göttinger Weltbild nicht mehr, als sein Doktorvater in der juristischen Promotionsrede nach der üblichen (etwas übertreibenden) Würdigung der juristischen Leistungen unvermittelt die Gedichte des Kandidaten rühmte und unerhörterweise hinzufügte, die seien von einer Qualität, der sich auch ein Goethe nicht schämen müsse. Es ist nicht schwer vorstellbar, daß Heine jetzt manches anders sah. Er hatte wieder Auftrieb.

Es blieb eine vielleicht sogar heilsame Verwirrung.

Zu fragmentarisch ist Welt und Leben!
Ich will mich zum deutschen Professor begeben.
Der weiß das Leben zusammenzusetzen,
Und er macht ein verständlich System daraus;
Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Weltenbaus.

Der Hamburger Senat lehnte die Zulassung des Dr. jur Heinrich Heine als Advokat der Hansestadt ab, dafür waren leider auch seine vielen über das landesübliche Maß an Zivilcourage hinausschießenden Formulierungen mitschuldig. Satire wird von Machthabern nie geschätzt. Der junge Doktor mit der jüdischen Herkunft wirkte auf betont konservative Stadtobere in keiner Weise Vertrauen erweckend. Sollte seine Obrigkeits-Persiflage etwa eine Empfehlung sein?
Ich unglückseliger Atlas! eine Welt,
Die ganze Welt der Schmerzen muss ich tragen,
Ich trage Unerträgliches, und brechen
Will mir das Herz im Leibe.

Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich
Du stolzes Herz! du hast es ja gewollt!
Oder unendlich elend, stolzes Herz,
Und jetzo bist du elend.





Während ich nach andrer Leute,
Andrer Leute Schätze spähe,
Und vor fremden Liebestüren
Schmachtend auf- und niedergehe:

Treibts vielleicht die andren Leute
Hin und her an andrem Platze,
Und vor meinen eignen Fenstern
Äugeln sie mit meinem Schatze.

Das ist menschlich! Gott im Himmel
Schütze uns auf allen Wegen!
Gott im Himmel geb uns Allen,
Geb uns Allen Glück und Segen!




Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen


Wir, Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen:
„Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.
Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude,
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammenstehn,
Da soll man auseinandergehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.
Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonnieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten.
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten!

Nach Göttingen folgten in der Arbeitslosigkeit kurze Aufenthalte in Norderney, Lüneburg und Hamburg; Salomon Heine finanzierte eine England-Reise. Heine schreibt und veröffentlicht viel, denn in Hamburg findet er in Julius Campe seinen Verleger. 1827, 2 Jahre nach dem Examen, macht er eine lange Umzugsreise nach München und besucht dabei überall unterwegs auch Bekannte, auch Professoren in Göttingen. Der Wirt der „Krone von England“ wartete freilich vergeblich auf die Begleichung der Zechschulden.

In Württemberg wird er im Beisein seines Medizin studierenden Bruders Max unter Hinweis auf seine teilweisen respektlosen Bemerkungen in den „Reisebildern“ verhaftet und des Landes verwiesen. Das traf ihn tief. 1829 ist er kurz als Zeitschriften-Redakteur in München tätig und macht sich (darin ähnlich wie Karl Marx, den er später kennenlernt) berechtigte Hoffnungen auf eine Professur. Er ahnte nicht, daß hier konservative katholische Berater das Sagen hatten. - Auf einer Italienreise erreichen ihn die Nachrichten von der Ablehnung einer Professur und vom Tod seines Vaters. Heine kehrt nach Hamburg und nach Berlin zurück.

Nach mehrfachen Zensur-Eingriffen werden 1831 seine „Nachträge“ zu den „Reisebildern“ in Preußen verboten. Am schärfsten greift ein hoher Beamter durch, den Heines Gedichte in der Göttinger Zeit zu Tränen gerührt hatten.

Die „Harzreise“ durfte in Göttinger Buchhandlungen nie verkauft werden. Ein Schriftsteller lebt aber davon, daß seine Schriften verbreitet werden. - Im Mai 1831, Heine ist 33 Jahre alt, zieht er nach Paris, wo er als einmal in einem früheren franz. Hoheitsgebiet Geborener Bleiberecht hat und als bereits bekannter und von deutschen Behörden verfolgter deutscher Dichter freundlich aufgenommen wird.

Heine bleibt auf die Unterstützung seines Onkels angewiesen, weil er allein von seinen verkauften Büchern nicht leben kann. Der Not gehorchend, wird er einer der ersten Berufsdichter und Auslandsjournalist und -Korrespondent. Er begründet mit seinen Berichten das moderne
Feuilleton und versucht, mit Deutschland und den Deutschen vor allem über Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften in Kontakt zu bleiben. Das wird ihm sehr erschwert; seine Bücher werden mehr und mehr verboten und beschlagnahmt.

Eine Einreise nach Deutschland wurde ihm verwehrt; nicht einmal zu medizinischen Konsultationen darf er zurückkehren, das tut er aber illegal: 1843 und 1844 besuchte er seine sehr geliebte Mutter in Hamburg und brachte einige Manuskripte bei ihr unter. Er konnte nicht ahnen, daß in Hamburg ein großer Brand bevorstand, der auch sein Verstecktes vernichtete.

Nach seiner Deutschlandreise entstand die Satire „Deutschland. Ein Wintermärchen,“ auf die wir zu gern näher eingehen würden. Nach jahrelangem Miteinander heiratete Heine (ihr zuliebe übrigens katholisch) die 18 Jahre jüngere „Mathilde, die er als Schuhverkäuferin liebgewonnen hatte und die ihm Liebe, Wärme und Geborgenheit schenkte, obwohl er in ihr auch eine verwöhnte, verschwenderische Kindfrau sah.

Einer seiner bekanntesten Texte ist viel weniger ein politisches Gedicht als eine innige Liebeserklärung an seine Mutter und eine zärtliche Huldigungan seine Frau.

Die beiden ersten Zeilen wurden und werden viel "rein politisch" zitiert; man traut Heine zu, daß er mit seinen klagenden Worten über die beiden Frauen hinaus das ihm so übel mitspielende Vaterland meinte:


Frau Heine verstand die Gedichte ihres Mannes nicht, aber sie lobte sie überschwenglich. Welcher dichtende Mann will mehr? Schon viel früher hatte er gedichtet:

„Und wenn du schimpfst und wenn du tobst,
Das will ich gerne leiden.
Doch wenn du meine Verse nicht lobst,
Laß ich mich von dir scheiden.“


Ernst Benedikt Kietz: Heinrich Heine und Mathilde, 1851.
Foto: Heinrich Heine Institut Düsseldorf

Auch Mathilde zuliebe und von ihr gestärkt, ertrug er bald darauf seine bis zur Lähmung und starken Sehbehinderung fortschreitenden Leiden. Er wollte unbedingt erreichen, dass die Erben von Salomon Heine auch Mathilde versorgen würden.

In der von ihm selbst so genanten Pariser „Matratzengruft“ entstanden viele Gedichte und Prosaschriften, die auch im Ausland immer mehr Beachtung fanden. Fast ein Drittel seines Gesamtwerkes entstand in seinen sieben Leidensjahren unter äußerst schwierigen Umständen, körperlich dahinsiechend, aber bei völliger geistiger Klarheit.
 
Neben einigen europäischen Künstlern und Wissenschaftlern besuchten ihn viele nach Paris reisende Deutsche in seiner Wohnung. In seinen letzten Lebensmonaten erlebte der weitgehend Gelähmte eine von Mathilde großherzig geduldete, beglückende Romanze mit der 27-jährigen Vorleserin „Mouche“.

Ein qualvoller Tod erlöste ihn lang erwartet am 12. Februar 1856, 58-jährig. Erstaunlicherweise übertraf er mit diesem Alter die meisten seiner prominenten Jahrgangsgefährten. Seine Mutter überlebte ihn um drei Jahre. Auf dem kleinen Pariser Friedhof „Montmartre“, gleich neben dem Vergnügungsviertel, besuchen Besucher aus aller Welt heute noch sein Grab. Ich sah mehrfach Blumen auf seiner Grabplatte liegen.

Heines Gedichte und Lieder, die „Harzreise“ und seine anderen geistvollen Prosaschriften wirken immer noch frisch und aktuell. Alle sind jetzt überall frei und preisgünstig erhältlich. Aber immer noch ist Heinrich Heine im Ausland beliebter und bekannter als bei uns. Schüler in Kyoto und in Kiew und in Toronto zitieren seine Gedichte; in unseren Schulen wird sein Name nur noch sehr am Rande erwähnt und droht ganz in Vergessenheit zu geraten.

Auch von den Göttingern wird angenommen, dass sie dem jüdischen Studenten Heine seine schnoddrigen und teils bitterbösen Bemerkungen über ihre Stadt und ihre Professoren immer noch nicht verziehen haben. Dabei hätten sie bessere Gründe gehabt, die Universität nach ihm zu benennen als die Düsseldorfer, die sich jetzt sehr mit Heines Nachruhm schmücken.

Göttinger Studenten und Bürger halfen im Mai 1933 u.a. Heines Bücher auf dem Albaniplatz zu verbrennen - er hatte es ja irgendwie vorhergesagt - und auch, dass es nicht bei Büchern bleiben würde. Dieser mahnende Spruch hängt in nachgedunkeltem Messing kaum auffallend an einer besprühten Mauer am Aufgang zum Albani-Parkplatz (nebenan vor der hellen Schulmauer würde man ihn besser sehen…)
Nachtgedanken

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land.
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt - wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muss ich - Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual.
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust - Gottlob! sie weichen!

Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Mathilde
Mathilde um 1845 von Alexandre Laemlein in Öl
(nur Kopfausschnitt) - digital verändert







Doktrin

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht.
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.
Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschiere trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegelsche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit,
Und weil ich ein guter Trommler bin.



Einem Studienfreund schrieb Heine improvisiert ins Stammbuch, bevor er weiterzog:

Lebensgruß:

Eine große Landstraß ist unsere Erd,
Wir Menschen sind Passagiere;
Man rennet und jaget, zu Fuß und zu Pferd,
Wie Läufer oder Kuriere.
Man fährt sich vorüber, man nicket, man grüßt
Mit dem Taschentuch aus der Karosse;
Man hätte sich gerne geherzt und geküsst,
Doch jagen von hinnen die Rosse.


Eine schwierige Hinterlassenschaft ist übrigens noch in Göttingen geblieben:
Ende 1997 sollte ein Göttinger Rechtsmediziner eine Haarlocke von Heine untersuchen. Man hoffte Aufschluss über die immer vermutete Liebeskrankheit zu finden, die er sich vielleicht in Hamburg, vielleicht aber schon bei den Huren am Rand von Göttingen geholt hatte.

Was er wahrscheinlich finden sollte, fand der renommierte Toxikologe*) nicht, aber das von ihm benutzte Riesen-Mikroskop gab ein ganz anderes, völlig unerwartetes Geheimnis preis, an dem alle Heineforscher und Heinefreunde seither rätseln: Heine hatte eine sehr hohe Bleivergiftung. Alle sind ratlos. Und vielleicht ist das ganz in seinem Sinne...
 *) PD. Dr. Dr. Harald Kijewski, Göttingen

Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen -
Der eine fällt, die andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - nur mein Herze brach.