
Göttinger |


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Literarische
Gesellschaft e.V.
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Gebäude
der
Universitätsbibliothek Göttingen
Johann
Christian
Eberlein, Aquarell; um 1800
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Heinrich Heine II:
Zusammenstellung von Heine-Texten +
Kommentare: © Helmut W. Brinks
Heine
konnte sein Studium in Berlin
fortsetzen; Onkel Salomon überwies weiter die monatlichen
Zuschüsse. In Berlin lernte er bekannte Wissenschaftler und
Dichter kennen. Er bekam Zugang zu literarischen Kreisen, die ihn sehr
ermutigten, sich als Dichter zu entwickeln.
Er arbeitete engagiert in einer Art jüdischer Volkshochschule
mit
und veröffentlichte in rascher Folge Lieder, Gedichte und
Artikel,
die zunehmend beachtet wurden, denn er schrieb in einem neuen Ton, der
in der Zeit der Romantik als erfrischend empfunden wurde; Heine hatte
treffsicher seinen eigenen
Stil gefunden.
Auf Einladung eines Freundes bereiste er die damals
preußische
Provinz Posen - und schrieb darüber. Nach zwei Jahren
verließ er Berlin, wohnte kurz, wie zum Luftholen und
innerlichen
Sammeln bei den nach Lüneburg umgezogenen Eltern und in
Hamburg.
Sein Theaterstück wurde derweil in Braunschweig ausgepfiffen
und
abgesetzt - wahrscheinlich, weil man das Publikum den Verfasser mit
einem dort verachteten Braunschweiger Juden verwechselte.
Ende Januar 1824 kam Heine zur Vollendung seines Jurastudiums, das
längst beendet sein könnte und müsste, in
das ungeliebte
Göttingen zurück. Im September 1824, in diesem Jahr
ist das
gerade 180 Jahre her, wandert er, wie das damals bei Studenten und
Bürgern üblich war, durch den Harz, allerdings nicht
nur ein
paar Tage, sondern, nach Plan, Karten und Reiseführern auf
Umwegen
über den Brocken, durch Thüringen und Sachsen. Sein
Reiseziel
ist Goethe in Weimar, dem er schon vor Jahren ohne Reaktion des
Verehrten Proben seiner literarischen Arbeit geschickt hatte. Der
Besuch wurde eine Enttäuschung und dämpfte Heines
Verehrung
für den unangefochtenen Dichterfürsten sehr.
Der Rückwanderweg führte ihn schließlich
über
Eisenach nach Kassel, wo die von ihm geschätzten
Brüder Grimm
lebten (Jacob und Wilhelm Grimm hat er aber nicht angetroffen, aber den
Zeichner Ludwig Emil Grimm, der ihn vorteilhaft porträtiert
hat)
und Münden wieder nach Göttingen. Sehr bald entsteht
nach
Notizblättern und früheren Aufzeichnungen der Bericht
„Die
Harzreise“.
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Die Erlebnisse und Reflexionen waren
anfangs
nur für seine Mitstudenten gedacht, aber sie bekamen ein
Eigenleben und entwickelten sich beim Schreiben zu einer neuen
Literaturgattung, die er später
„Reisebilder“ nannte. Die
„Harzreise“ enthält neben einer
Fülle von herrlichen
Schilderungen und Bemerkungen eine „Theologie der
Befreiung“, mit der
Heine der Kirche 180 Jahr voraus war. Es gibt ein Gedicht
„Bergidylle“,
das man das Glaubensbekenntnis eines Denkgläubigen genannt
hat.
Eine weibliche Zufallsbegegnung löst eine religiöse
Aufklärung ganz besonderer Art
aus, tiefer und schonungsloser und selbstkritischer als sie das
Gretchen in Goethes Faust auslöst: Heine wird gefragt:
„Dass du gar zu oft
gebetet,
Das zu glauben fällt mir schwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.
Jenes böse kalte Zucken,
Das erschreckt mich jedesmal.
Doch die dunkle Angst beschwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.
Auch bezweifl‘ ich, daß du glaubest,
Was so rechter Glaube heißt,
Glaubst wohl nicht an Gott, den Vater,
An den Sohn und heil’gen Geist?“
Und der Dichter antwortet:
„Ach mein Kindchen, schon als Knabe,
Als ich saß auf Mutters Schoß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;
Der die schöne Erd’ erschaffen
Und die schönen Menschen drauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen
Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als
ich
größer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich schon,
Und begriff, und ward vernünftig,
Und ich glaub’ auch an den Sohn.
An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebräuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachsen,
Viel gelesen, viel gereist,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen
Glaub’ ich an den heil’gen Geist.
Dieser tat die größten Wunder
Und viel größre tut er noch;
Er zerbrach die Zwinghernburgen
Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleich geboren,
Sind ein adliges Geschlecht.
Er verscheucht die bösen Nebel
Und das dunkle Hirngespinst,
das uns Lieb’ und Lust verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinst.
Tausend
Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heil’ge Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat sie mutbeseelt.
Ihre teuern Schwerter blitzen,
Ihre guten Banner wehn!
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,
Solche stolzen Ritter sehn?
Nun, so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und schaue dreist;
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem heilgen Geist.
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In rascher Folge entstanden jetzt in
Göttingen Gedichte, Lieder und Balladen, Aufsätze,
Artikel,
die ersten Seiten einer groß, wohl zu groß
angelegten
jüdischen Geschichte über die Figur des
„Rabbi von
Bacherach“, ganz wesentlich konzipiert mit Hilfe der
Göttinger
Bibliothek. Es blieb aus mehreren Gründen ein Fragment, ein
sehr
lesenswertes. Der 26-Jährige schrieb auch schon an seinen
Memoiren.
Aus Heines heute immer noch sehr lesenswerten Fragment „Die
Harzreise“
- er nannte es selbst einen zusammengesetzten
„Flickenteppich“ -
stammen auch seine berühmten bissigen Sätze
über
Göttingen und über einige Göttingerinnen,
über
Göttinger Professoren und sonstige Akademiker und
Nichtakademiker.
Weniger gut in Erinnerung bleiben seine kostenlose Werbung für
Göttinger Würste und das damals noch keiner
Konkurrenz
ausgesetzte Göttinger Bier.
Die Umgebung der Universität bestand aus Mief und Muff; es gab
kaum eine notwendige Infrastruktur und das wurde von vielen beklagt,
die hier leben mußten - einige, wie der weitgereiste
Professor
Schlözer fanden das Nest Göttingen
großartig.
Schlözers lateinisch formuliertes Lob schmückt heute
den
Eingang des Ratskellers; die meisten Gäste können ihn
nicht
ins Deutsche übersetzen: „Man kann auch fern von
Göttingen
leben, aber das kann man dann nicht Leben nennen“. Viele
gaben aber
Heine recht, der es so formulierte:
Zu
Göttingen
blüht die Wissenschaft,
Doch bringt
sie
keine Früchte.
Ich kam
dort
durch in stockfinstrer Nacht,
Sah
nirgendswo
ein Lichte.
Lange bevor sein Dichterkollege Wilhelm Busch die Bildserien erfand,
schilderte Heine offensichtlich ohne besondere Mühe auf der
Rückseite eines Briefes an einen Freund einen leichthin
gezeichneten Bericht über sein Studentenleben in
Göttingen
1824: ...
Heine-Säkularausgabe,
Berlin-Paris 1975, Bd. 20 K, S. 96
Meine
Deutung:
1. Die Studenten erbrechen sich - wegen der Göttinger
Verhältnisse: langweilige Vorlesungen, strenge Professoren,
verdreckte Straßen, teure Zimmer, aufwendige
Lebensbedingungen,
oft schlechtes Essen, gepanschtes Bier und das oft im
Übermaß genossen.
2. Überall wird geraucht - zu Heines Verdruß, er hat
ohnehin
dauernd Kopfschmerzen -.auffällig in den langen Pfeifen der
Großväter, geschmückt mit Porzellanbildern
und
Troddeln, an denen die Jahrgänge und Landsmannschaften zu
erkennen
sind.
3. Überall wird nach „akademischem
Standesrecht“ gefochten,
gekämpft und duelliert;
der Mut wird dabei durch Bier und Wein gestärkt.
4. Die Professoren halten ihre Vorlesungen zwangsläufig in
ihren
Wohnhäusern; mancher auf Würde und Distanz bedachter
Hochschullehrer erweist sich zuhause als ganz anderer Mensch. Hier
doziert einer vom Katheder mit Eselsohren: „Meine
Herren!“. Ihm zu
Füßen scheinen außer einigen
verdrückten
Studenten auch seine zappelnden Kleinkinder zu sitzen. Ein Student oder
ein Kind hat ebenfalls Eselsohren - ein imitierendes Kinderspiel oder
eine Art Selbstkritik?
5. Das Städtchen Göttingen wird Tag und Nacht vom
allgewaltigen Pedell (Pudel) (und seinen Spionen) überwacht,
der
genußvoll lange Karzerstrafen verhängt.
6. Die „Principien“-Reiter unter dem
Universitätspersonal sind oft
geisterhafte Kopfgeburten ohne Bodenhaftung, ein ganzes Stück
in
der Luft, und eben „mit Bart“.
Einige haben Flügel, die vielleicht auch lauschen
können und
alle drei haben (dem Prof. Lichtenberg zu Ehren?) Schwänze
oder
Wurmfortsätze. (Schwänze wiesen im Studentenjargon
auch auf
das Schwänzen der Vorlesungen hin.)
7. Wie Gesetzestafeln stehen fordernd vor den Jurastudenten die
lateinischen Standardwerke „Zivilrecht“,
„Römisches Recht“,
„Rechtsgeschichte“...
8. Es gilt, wie Heine vielfach klagte, ständig zu
büffeln,
selbst noch mit der Nachtmütze. Ist das Ideal dann ein
angepasster
Bürger - einer mit Zukunfts-Chancen?
9. Frauen sehe ich hier nur von Ferne; sie sind für uns
Studenten
schwer erreichbar. Es bleibt mir: meine Venus trägt eine
Schürze und kocht mit Liebe - aber sie erwies sich leider
bereits
als „venerisch“.
10. Die Lehrenden raten uns: Labt euch an den prallen Brüsten
der
nährenden Mutter Universität - der „alma
mater“ -: bringt
Lernen Lust? (oder bringt sie mich davon ab?)
11. Unbegrenzte Freiheit schenkt nur die Natur. Deshalb so oft wie
möglich: Hinaus aus der tristen Stadt ins Grüne - zu
Fuß, mit einem Leihpferd, einem Wagen...
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Ein von niemand bestrittener Anziehungspunkt für alle
Intellektuellen war die stattliche, weithin gerühmte
Universitätsbibliothek. Heine hat sie sehr geliebt und genutzt
und
einige Jahre nach ihm hat auch der mehrfach und gern durchreisende
Goethe hier seine Arbeiten mit Material
„unterfüttert“.
Heine hat uns wunderbare Naturschilderungen aufgeschrieben, besonders
in der „Harzreise“, aber er war durch und durch ein
Stadtmensch.
Hervorzuheben ist, dass er Berlin nicht annähernd so farbig
geschildert hat wie Göttingen. Ich kenne drei Preisungen von
Städten, die Eindruck auf ihn machten: Die eindrucksvollste
widmete er seiner Vaterstadt am Rhein:
„Düsseldorf ist eine sehr schöne Stadt.
Wenn man in der Ferne
an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, wird einem
sonderbar
zumute.“
Bei
einem
Abschied aus Paris schrieb er: „Ade, Paris, du
schöne
Stadt..“ Und die dritte Stadt, die er schön nennt,
ist schon
Göttingen. Der 27-Jährige, der mit der Erinnerung an
den
demütigenden Doppelrausschmiss immerhin nach
Göttingen
Zurückgekehrte, weil er hoffte, hier endlich zu
einem absehbar baldigem Studienabschluss zu kommen, schrien diese
großartige Werbung für Göttingen, die in
alle
Weltsprachen übersetzt worden ist und immer noch oft zitiert
wird:
„Göttingen ist eine schöne Stadt,
besonders, wenn man sie mit
dem Rücken ansieht.“
Unser Gesamturteil über eine Stadt ist aus vielen Erlebnissen
mit
ihr und in ihr zusammengesetzt, einige haben ungerechterweise
überhaupt nichts mit der Stadt zu tun. Hier in
Göttingen, in
der Endphase seiner Promotionsvorbereitungen, erhielt Heine die
Verlobungsanzeige von Amalie Heine, dem etwas pummeligen,
verwöhnten und von vielen umschwärmtem,
ungewöhnlich
reichen Mädchen, das er seit zehn Jahren umworben, besungen
und
immer wieder mit verrückten Einfällen zum Lachen
gebracht
hatte. Im weitläufigen Park an der Elbchaussee in Hamburg
hatte
Amalie seine Umarmungen nicht nur erduldet, ihre Mutter konnte sich
für den phantasievollen, lustigen und überhaupt nicht
geschäftstüchtigen Kerl etwas erwärmen -
aber Vater
Salomon dachte in anderen Kategorien. Amalie bekam einen
ostpreußischen Junker und „versauerte“
prompt auf seinen
Ländereien, starb dann auch sehr jung.
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei. |
In Göttingen ging Heinrich Heine auf,
dass
zur Liebe unbedingt das Leiden gehört, besonders, wenn man als
Liebender immer zu einem stattlichen Anteil in die Liebe selbst
verliebt ist, nicht nur in die jeweilige Liebste.
Einer seiner vielen
poetischen Nachrufe und Nachschreie auf Amalie fiel so aus, zu einem
allgemeinen Reigen verfremdet:
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Öl auf Elfenbein, von Colla, um 1825
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Heinrich
Heine in Göttingen Teil III
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