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Rekonstruktion der Harzreise-Route Heines
im Jahr 1824   
© Helmut W. Brinks, 2007


Göttingen mit Blick auf die Allee (heute Goethe-Alle)
Göttingen mit Blick auf die Allee (heute Goethe-Allee)
mit den Kirchtürmen von St. Jabobi und St.Johannis –
mit Studenten und Bürgern


Die Reise durch den Harz hatte Harry* Heine lange geplant. Schon im Februar 1821, nach seiner Ausweisung aus der Stadt, aus der Universität und aus der Studentenschaft wollte er die Wanderung unternehmen. Am 4. Februar 1824 schrieb er an Friedrich Steinmann: “Ich werde wahrscheinlich übermorgen abreisen. Nicht nach Berlin. Ich will eine Fußreise nach dem Harz machen. Du und der Poet, Ihr könnt mir daher nicht eher schreiben, bis ich Euch nochmals geschrieben habe, Dies soll in vier Wochen geschehen.“ (Heine reiste aber nach Hamburg.)

Eine Fußreise in den Harz galt in Göttingen als normal – für alle, die sich einige Tage Ferien gönnen konnten. Das galt für Bürger und Studenten. Sogar in Vorlesungen wurde darauf verwiesen, wie wichtig für die Gesundheit eine Wanderreise in die nahen Harzberge sei.

Als wichtiger Grund wurde die heilsame Luft des Harzes angegeben, dazu die für Leib und Seele förderliche körperliche Bewegung beim Wandern. In den Hörsälen wurde wahrscheinlich nicht geraucht, aber bei allen studentischen Unternehmungen in Wirtshäusern und in den Pauksälen. Siehe die langen,
troddel-geschmückten Pfeifen…

Auch Heines Arzt Dr. Marx in Göttingen hatte ihm, der ständig unter Kopfschmerzen litt, zugeraten, in den Semesterferien aus der beengenden Kleinstadt hinaus zu wandern…

* Seinen ungeliebten Geburtsnamen Harry (die Familie nannte ihn zeitlebens so; Onkel Salomon schrieb auch schon mal „Henry“. In seiner lateinisch gehaltenen Anmeldung zur Promotion gab er erstmals „Henricus“ an. (Besonderheiten:
Er gab sein Geburtsdatum – das war offenbar sein wiederholt genannter Wunschtermin - falsch als 13.12.1799 an und deutschte den Namen seines Vater vorsorglich ein)…


Unter den Anregungen zu Kulturreisen stehen dort auch mehrere Fahrten und Wanderungen nach Ilsenburg und auf einer Strecke des Heine-Weges Richtung Brocken. Termine: Sa., 19. April, So., 1. Juni, So., 31. August,
So., 5. Oktober.
Unterwegs begegnet den Gästen dort (wie einst Heinrich Heine, aber diesmal persönlich) die sagenumwobene Prinzessin Ilse vor ihren geheimnisumwitterten Bergschätzen. Verena Zimmermann und Helmut W. Brinks werden einiges lebendig machen.

Heine-Freunde sollen sich freuen.
Nähere Auskünfte erhalten Sie durch eine eM.-Anfrage bei dahms@ostfalen.de


Heine - Eintrag im Besucherbuch der BergwerkeHeine besichtigte am 16. September die beiden Bergwerke in Gesellschaft der Göttinger Jura-Studenten Carl und Joseph Russel, Carl von Detten und
Ferdinand Deißing.

Die zusammenbindende (krakelige) Klammer findet sich auch bei anderen Gruppeneintragungen im Besucherbuch der Bergwerke; sie wurde wahrscheinlich von einer Aufsichtsperson angebracht.

Vom Datum des 16. Septembers lässt sich der Beginn seiner Fußwanderung auf den 14. September zurückrechnen. Uns sind nur wenige weitere feste Daten bekannt – für die Station Halle (24. Sept.), für den Besuch bei Wüllner und den Aufenthalt in Weimar. Alle anderen Termine können nur mit allerdings
hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Göttingen, Geismartor

Heines Wohnungen in Göttingen:

• 27.(?) Sept.1820 - einige Tage Schweizerhaus von „Ulrichs Garten“
• Okt. 1820 - 06. Febr.1821                     Jüdenstraße 16

• 24. Jan. 1824 – 05. Mai 1824                Rote Str. 25
• 08. Mai. 1824 – 31. Aug. 1824              Groner Straße 4
• 01. Sept. 1824 – 31. März 1825            Goethe-Allee 16
• 01. April 1825 – 30.(?) Juni 1825           Weender Str. 50
• 01. Juli– 06. Aug. 1825                         Herzberger Landstraße 8


                             Göttingen,
Geismar Tor, Teil des Walls, Entbindungsanstalt,
    im Hintergrund St. Johannis und St. Jacobi

Denkwürdige Zufälle? Heines Einleitung zur Harzreise beginnt mit einer berühmt gewordenen lexikalischen Schilderung seiner Universitätsstadt Göttingen, die auch Gottschalcks Städtebeschreibung parodiert. Göttingen hat diese Dichter-Reklame nie besonders gewürdigt. Sie scheint übrigens auch an eine sechsundfünfzig Jahre ältere Schilderung des Göttinger Genies Lichtenberg anzuknüpfen – wie dieser unkonventionelle Professor für manche spätere Heine-Texte Stichworte vorwegzunehmen scheint:

Lichtenberg reimt für einen an der Göttinger Universität interessierten Freund im Mai 1769:

„Seitdem mein Kutscher und mein Schicksal
Mich, Teuerster, aus deinem Blick stahl,
Leb´ ich in diesem Vaterstädtgen,
Berühmt in allerlei Bedeutung
Durch Würste, Bibliothek und Zeitung,
Durch Professorn und Regenwetter,
Und breite Stein und Wochenblätter;

Durch junge Herrn aus allen Reichen
Der Welt, und Mädgen und dergleichen.
Du kennst zwar schon aus einem Bändgen
Dies geistliche Schlaraffen-Ländgen,
Wo Wahrheit kommt von selbst geflogen,
Bald mit der Haut bald abgezogen,
Zuweilen künstlich skelettiert,
Zuweilen ganz französ`sch kandiert,
Und wo man folglich um gelehrt
Zu werden nur sich recht aufsperrt….
Doch wirst du vieles noch vermissen,
Was man hier weiß und nicht will wissen.
Professorn schreiben nur qua tales
Und dann wer Henker weiß denn alles?
Sehr neu und seltsam muss es dir sein,
Das hier studiern und drei Jahr hier sein,
Herz haben und sich duellieren,
Vermögend sein und sich bordieren
Dass wahrer Pursche und ein Kind
Oft einerlei und oft auch nicht sind…
...Sich selbst verleugnend und froh dass er
Das Leben hat in Rauschenwasser...
Und siehts im letzten ja noch voll aus,
So ist er voll so wie manch Tollhaus...
Dort stehn Rezepte zuPomaden
Bei Axiomen von Monaden,
Pandekten, Institutionen,
Steinschnallen, Mädgen und Makronen,
Physik der Bauern und der Ammen
Und eins von Kästners Epigrammen,
...Sag, Freund, wo kommt doch dieses Üb`l her,
Dass Deutschland hat so viele Schiebler?
Göttingen zählt ohn Unterlass
In jedem Jahr ein Dutzend Lyras.
Wir sind, will man Aspekte deuten,
Nun in des Witzes letzten Zeiten…“

zitiert nach: Georg Christoph Lichtenberg. Schriften und Briefe.
Hrsg. von Wolfgang Pommes. Ausgabe
von Zweitausendeins, o. J., Band III, S. 621ff.

Die überwiegend wohlhabenden Studenten in Göttingen hatten besonders viel Geld und lebten – zum ersten Mal ohne elterliche Aufsicht – in lustvoller Freiheit. Sie kleideten sich ungewöhnlich elegant. Der aus England kommende Zylinder war bei ihnen auch an Werktagen sehr beliebt, aber es gab ihn in lebhaften Farben – und bei den abendlichen Trinkfesten wurden sie mit dem Degen oft zum Spaß durchstochen und damit erneuerungsbedürftig.
Heine Harzreise II Heinrich Heine Harzreise II